Miljacka-Brücke # 4: Most Suade-i-Olge (Vrbanja most)

Die Geschichte der Most Suade-i-Olge (Brücke Suada-und-Olga) führt uns direkt mitten hinein in den Beginn des Bosnien-Krieges  1992 in Sarajevo.

Bis zu 100.000 BosnierInnen demonstrierten am 5. April 1992 vor dem Parlament im Rahmen einer Friedensdemonstration gegen die nationalistische Politik, die bereits in mehreren Teilen Bosnien-Herzegowinas zu Gewalt geführt hatte. Noch glaubten die Demonstrierenden hier daran, dass ein Krieg verhindert werden, dass Sarajevo mit seiner Vielfalt gegen die ethnisch-nationalistischen und religiös motivierten gewaltsamen Konflikte widerstehen und dass die Einheit eines unabhängigen Bosnien-Herzegowinas erhalten werden könnte.

Doch dann wird nicht sehr weit entfernt vom Parlament aus dem Hotel „Holiday Inn“, in dem sich damals die Serbische Demokratische Partei von Radovan Karadzic aufhielt, auf die Demonstrierenden geschossen.

Die ersten Todesopfer an diesem Tag unter den für den Frieden Demonstrierenden waren zwei Frauen (Suada Dilberović und Olga Sučić), die inmitten einer Gruppe Demonstrierender auf der Vrbanja-Brücke getötet (siehe zu den Vorgängen um die Brücke dieses Video) wurden.

Zum Zeitpunkt der Demonstrationen hatte die serbisch dominierte jugoslawische Volksarmee bereits den Sarajevo Flughafen in Ilidža übernommen und am 7. April 1992 erklärte die Führung der bosnischen Serben ihre „Republika Srpska“ („Serbische Republik“)  innerhalb von Bosnien-Herzegowina für unabhängig. Was in Sarajevo folgte, war eine Belagerung der Stadt durch serbische Truppen, die über drei Jahre bis zum Februar 1996 dauern sollte und alleine in Sarajevo an die 12.000 Todesopfer und in ganz Bosnien-Herzegowina bis zu 100.000 Tote gefordert hat.

Wer heute durch die  Straßen der Stadt Sarajevo geht, stößt immer noch an vielen Orten auf die Spuren dieses Krieges. An vielen Häusern sind noch die Einschusslöcher erkennnbar, an den Mauern sind Erinnerungstafeln  für Opfer angebracht,  Gedenktafeln auch an den Orten, an welchen Menschen starben. Ausgegossene Granattreffer im Asphalt und bedrückend viele weiße Grabsteine auf den Friedhöfen auf den Hügeln rundherum.

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Markale-Marktplatz

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Bei Safvetbeg Bašagić-Volksschule
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Altstadt

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Ausgegossene Granattreffer

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Gedenkstätte für die während der Belagerung von Sarajevo getöteten Kinder

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Auch die vormalige Vrbanja most (Vrbanja-Brücke, eine moderne Straßenbrücke mit bis ins 18. Jh. zurückreichenden Vorgängerbauten) wurde zum Gedenkort.

Hier wurde nunmehr der ersten offiziellen Opfer des Bosnienkrieges in Sarajevo gedacht.

Am Brückengeländer erinnert heute eine am 6. April 2001 aufgestellte Gedenktafel mit dem Satz „Kap moje krvi poteče i Bosna ne presuši.“ (zu Deutsch in etwa:  „Ein Tropfen meines Blutes ist geflossen und Bosnien wird nicht scheitern.“)  an die beiden im April 1992 getöteten Frauen.

Doch es gibt keine erklärende Tafel bei der Brücke (im Unterschied  zu  den sehr genauen, mehrsprachigen Infotafeln an  historisch-architektonisch bedeutsam erscheinenden Orten) und auf Wegweisern steht weiterhin der alte Brückenname.

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Die meisten unserer GesprächspartnerInnen in Sarajevo geben auch beinahe entschuldigend zu, dass sie – übrigens so wie bei der Gavrilo(-Princip)-Brücke (inzwischen Lateinerbrücke) auch hier noch den alten Namen Vrbanja-Brücke benutzen (doch vermutlich sagen auch nicht wenige GrazerInnen  immer noch Schönau- und Hauptbrücke  statt Bertha-von-Suttner-Friedensbrücke, auf Wunsch  der Friedensbewegung und Erzherzog-Johann-Brücke auf Wunsch der FPÖ).

Unsere GesprächspartnerInnen in Sarajevo erwähnten  auch die politisierten (was in Bosnien-Herzegowina oft mit einer Ethnisierung und religiösen Aufladung einhergeht) Vorgänge rund um die Umbenennung der ehemaligen Vrbanja-Brücke.

Denn zuerst wurde die Brücke, bald nach Kriegsende, am Jahrestag 1996 nur nach der 25-jährigen Medizinstudentin Suada Dilberović benannt. Sie war im kroatischen Dubrovnik geboren, als Kind bosnischer Eltern und kam erst als Medizinstudentin nach Sarajevo. Nach ihr, einer Muslimin, wurde die Brücke benannt, für sie wurde die erste Gedenktafel aufgestellt, für sie wurden Gedichte und Lieder als Heroin und Märtyrerin (Şehit ) verfasst.

Dreieinhalb Jahre später, am 3. Dezember 1999, wurde die Most Suade Dilberović (Suade-Dilberović-Brücke) nach langen Bemühungen ein weiteres Mal umbenannt. Ab nun wird auch der 34-jährigen, zweifachen Mutter Olga Sučić, einer Verwaltungsmitarbeiterin in Sarajevo, gedacht, die an diesem Tag von ihrem Arbeitsplatz aufbrach, um mit zu demonstrieren und auf der Brücke getötet wurde. Auch bei Sučić wird die „Ethnie“ bzw. wohl auch ihre gemutmaßte Religion in den Vordergrund gestellt, war sie doch „Kroatin“.

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Seit 1999 heißt die Vrbanja most  nun offiziell, nach den Vornamen der beiden  am 5. April 1992 getöteten Frauen,  Most Suade-i-Olge (Brücke Suada-und-Olga).

Während der Belagerung der Stadt in den folgenden Jahren war die Brücke Kampflinie und Trennlinie zwischen dem serbisch kontrollierten Stadtteil Grbavica auf der einen Flußseite und dem Stadtzentrum inklusive Parlament und es verloren noch weitere durch Snipers ihr Leben auf der Brücke.

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Unter ihnen waren am 18. Mai 1993 die beiden 25-jährigen aus Sarajevo, Boško Brkić und seine Freundin Admira Ismić, die beide auf der Brücke Arm in Arm starben als sie auf das rechtsseitige Miljacka-Ufer flüchten wollten.

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Ihr Tod wurde gefilmt von mehreren Kamerateams und bekannt als Dokumentation „Romeo and Juliet in Sarajevo“ (Video) sowie als davon inspiriertes Lied von Bill Madden.

Nur einige Monate später, am 3. Oktober 1993 wurde auf der Brücke der italienische Friedensaktivist Gabriele Moreno Locatelli von einem Sniper erschossen, als er mit anderen der Gruppe „Beati i Costruttore di Pace“ und einer Friedensfahne die Brücke überqueren wollte. Nach ihm ist in Sarajevo eine Straße benannt, die Dokumentation „Morte di un pacifista“ („Tod eines Pazifisten“) verfasst. 2013, 20 Jahre danach, wurde auf der Suade-i-Olge-most für ihn die letzte Gedenkfeier abgehalten wo sich unter der Gedenktafel für die beiden am 5.April 1992 getöteten Frauen auch eine kleine Gedenktafel in italienisch für Locatelli findet.

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Auf der Brücke kam es zudem zum ersten Kampfeinsatz von Bodentruppen der UNO gegen Soldaten der Armee der Republika Srpska nachdem serbische Soldaten in französischen Uniformen kampflos die beiden UN-Posten auf beiden Seiten der Brücke am 27. Mai 1995 eingenommen und 12 französische UN-Soldaten gefangen genommen hatten. Bei der Rückeroberung durch die UN-Soldaten starben vier serbische Kämpfer und zwei französische UN-Soldaten.

Doch auch hinsichtlich der Frage, wer denn nun das erste Opfer des Bosnien-Krieges gewesen sei, gibt es bei den ehemaligen KriegsgegnerInnen bis heute unterschiedliche Auffassungen. Für die serbische Seite ist das erste Opfer des Krieges Nikola Gardović, ein serbischer Einwohner von Sarajevo, der am 1. März 1992, während der Zeit des Referendums zur Unabhängigkeit Bosniens-Herzegowinas von Jugoslawien, bei einer serbischen Hochzeitsfeier vor der alten serbisch-orthodoxen Kirche in Sarajevos Altstadt erschossen und ein Priester verletzt wurde. In der Folge davon wurden in Sarajevo erste Barrikaden errichtet. Bereits nach Kriegsbeginn stand für den Mord Ramiz Delalić in Sarajevo vor Gericht. Seine Schuld blieb unbewiesen und später wurde er ein bosnischer Militärkommandant. Am 27.Juni 2007 wurde er in Sarajevo ermordet.

In Erinnerung auch an alle namenlos und gesichtslos gebliebenen Opfer!

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